156. Fließt, ihr Augen, fließt von Thränen

1 Fließ ihr Augen, fließt von Thränen
und beweinet eure Schuld;
brich, mein Herz, von Seufzen, Sehnen,
weil ein Lämmlein in Geduld
nach Jerusalem zum Tod,
ach, zum Tod! für deine Noth
und der ganzen Welt hinwandelt:
ach, denk, wie du hast gehandelt.

2 Es soll nun vollendet werden,
was davon geschrieben ist,
und warum auf diese Erden
ist gekommen Jesus Christ:
schauet nur des Höchsten Sohn
in dem Leiden, Schmach und Hohn,
in dem Wunden, in den Schmerzen,
und nehmt Alles wohl zu Herzen.

3 Es wird in der Sünder Hände
überliefert Gottes Lamm,
das sich den Verderben wende.
Jud und Heide sind ihm gram
und verwesen diesen Stein,
der ihr Eckstein sollte sein:
ach! das leidet der Gerechte
für die bösen Sündenknechte.

4 Jesus steht in Strick und Banden,
dessen Hand die Welt gemacht,
beiVerachtung, Spott und Schanden,
und wird höhnisch ausgelacht;
Backenstreich und Fänstenschlag,
Jud- und Heiden- grimm und Nach
duldet er für deine Sünden:
wer kann solche Lieb ergründen?

5 Laß es dir zu Herzen gehen
bessre und bekehre dich!
Wer kann diese That ansehen,
ohne tief zu beugen sich?
Jesus steht an unsrer Statt:
was der Mensch verdienet hat,
büßet Jesus und erduldet,
was der Sünder hat verschuldet.

6 Er hält seinen heilgen Rücken
Geißel, Ruth und Peitschen dar.
Wer kann dies ohn Reu erblicken?
wenn die rohe Judenschaar
Hand anlegt an Gottes Bild,
das so freundlich, fromm und mild,
und doch nackend wird gehauen:
wer kann solche Gräul anschauen?

7 Also sollt man dir begegnen,
du verruchtes Menschenherz,
aber nun kömmt, dich zu segnen
und zu tragen deinen Schmerz,
Jesus, und entblößet sich
und wird dort so jämmerlich,
abgestraft, verspeit, zerschlagen,
daΩß kein Maaß noch Ziel der Plagen.

8 Endlich wird der Schluß gesprochen:
Jesus muß zum Tode gehn;
über ihn der Stab gebrochen;
es hilft hier kein Bitten Flehn.
Barrabbas wird losgezählt,
Jesus wird zum Kreuz erwählt:
weg mit diesem, dem Verfluchten!
ruft der Hause der Verruchten.

9 Folge denn zur Schädelstätte
deinem Jesu traurig nach;
aber auf dem Wege bete,
bet im Geist mit Weh und Ach,
daß der Vater auf kein Kind
als den Bürgen für die Sünd
sehen woll und sich erbarmen
über dich Elenden, Armen.

10 Muß ich, Jesu! dich den sehen
am verfluchten Kreuzes-pfahl,
ach! so laß ich übergehen
Meine Thränen ohne Zahl.
Ach! erbarm dich, Gotteslamm,
das da hängt am Kreuzesstamm!
ach, erbarm dich! weil dein leiden
mir gedeihen soll zur Freuden.

11 Ich will dir ein Opfer geben:
Seel und Leib ist meine Gab!
Jesu, nimm dies arme leben,
weil ich ja nichts Bessers hab;
tödt in mir, was dir mißfällt,
leb in mir auf dieser Welt;
laß mich mit der leben, sterben,
und dein Reich im Himmel erben!

12 Tausendmal sei dir gesungen,
liebster Jesu, Preis und Ruhm,
daß du Höll und Tod bezwungen!
Nun bin ich dein Eigenthum
und du meine Freud und Wonn:
möcht ich dich, o schönste Sonn,
bald in deiner Krone sehen!
Komm! dein leiden ist geschehen.

Text Information
First Line: Fließt, ihr Augen, fließt von Thränen
Author: Laur. Laurenti, 1660-1722
Language: German
Publication Date: 1872
Topic: Passionslieder; Passion Songs
Notes: Mel. Zion klagt mit Angst.
Tune Information
(No tune information)



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